Unter
Rückstellungen für unterlassene drohende Verluste aus schwebenden Geschäften werden laut § 249 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1. Handelsgesetzbuch (HGB) Rückstellungen verstanden, wenn schwebende, also noch nicht vollständig erbrachte bzw. abgerechnete, Geschäfte bestehen, aus denen ein Verlust zu erwarten ist. Es müssen konkrete Hinweise vorliegen, dass das der Fall ist; eine reine Annahme genügt nicht.
Wofür werden Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften gebildet?
Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (Drohverlustrückstellungen) werden nach
§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB für noch nicht abgewickelte Geschäfte gebildet, die auf einen Leistungsaustausch ausgerichtet sind. Gegenstände schwebender Geschäfts können z.B. Kauf-, Werk- oder Tauschverträge oder Dauerschuldverhältnisse (Miet- und Telefonverträge) sein. Auch im öffentlichen Recht kann es schwebende Geschäfte geben, wenn gegenseitige Leistungen zu erbringen sind, etwa bei Flurbereinigungsverfahren, soweit es keinen abschließende Bescheid gibt. Dann ist ein Geschäft in der Schwebe. Ein
schwebendes Geschäft liegt vor, wenn die Vertragspartner verpflichtende Verträge abgeschlossen haben, die auf einen Leistungsaustausch gerichtet sind, die aber noch nicht oder nicht vollständig erfüllt sind.
Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass sich bei der Erfüllung eines Geschäfts Leistung und Gegenleistung ausgleichen, werden schwebende Geschäfte nicht bilanziert, da die Vermutung gilt, dass sich bei der Erfüllung des Geschäfts Leistung und Gegenleistung ausgleichen.
Voraussetzungen für eine Drohverlustrückstellung
Anders verhält es sich, wenn eine Störung des Geschäfts vorliegt oder zu erwarten ist, dass der Wert der Leistung den Wert der zu erhaltenen Gegenleistung übersteigt und demnach einem Unternehmer aus dem Geschäft ein
Verlust droht. Hier sieht das Handelsrecht eine Bilanzierung der drohenden Verluste vor. Die
Pflicht zur Bilanzierung ergibt sich aus dem
Imparitätsprinzip (Grundsatz, nach dem alle negativen Erfolgsbestandteile im Jahresabschluss zu erfassen sind, § 252 Abs. 1, Nr. 4 HGB), nach dem Verluste zu berücksichtigen (bilanzieren) sind, sobald sie bekannt oder zu erwarten sind.
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Voraussetzung ist, dass aus dem Vertragsverhältnis voraussichtlich ein Verlust entstehen wird, und es keine Möglichkeit gibt, das bestehende Vertragsverhältnis zu ändern. Das heißt, der Unternehmer ist verpflichtet, den Vertrag vereinbarungsgemäß zu erfüllen und er nicht verhindern kann, dass ein Verlust einritt. Weiter darf das Geschäft zum Bilanzstichtag von keiner Seite vollständig erfüllt sein.
Beispiel: Ein Unternehmen bestellt Material im Wert von 100.000 Euro. Die Lieferung ist für das kommende Geschäftsjahr vorgesehen. Zum Bilanzstichtag stellt der Betrieb fest, dass er das gleiche Material für 90.000 Euro kaufen könnte. Daher weist das Unternehmen in der Handelsbilanz zum Bilanzstichtag eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften in Höhe von 10.000 Euro aus.
Besonderheiten bei Teilleistungen
Geschäfte können auch bei Teilleistungen schwebend sein, etwa, wenn Teilleistungen einzeln erbracht werden und selbstständig abgerechnet und bezahlt werden können.
Beginn und Ende des Schwebezustands
Mit dem Abschluss eines Vertrags beginnt im Normalfall der Schwebezustand. Er endet, wenn die Vertragsparteien ihren Verpflichtungen nachgekommen sind.
Hinweis: Möglich ist die Rückstellungsbildung auch dann, wenn der voraussichtliche Verlust sich auf ein Geschäft bezieht, bei dem nur ein verbindliches Angebot abgegeben wurde und dessen Annahme wahrscheinlich ist, es also noch keinen Vertrag gibt.
Handels- und Steuerrecht – Abgrenzung zu ungewissen Verbindlichkeiten
Handelsrechtlich muss eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften gebildet werden. Im Gegensatz dazu ist die Rückstellungsbildung gemäß
§ 5 Abs. 4a EStG steuerlich
nicht zulässig. Allerdings sind für
ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen in Handels- und Steuerrecht verpflichtend. Es ist also erforderlich, entsprechende Abgrenzungen sorgfältig vorzunehmen und immer den Einzelfall zu betrachten, weil die Unterschiede, die zu einer Einordnung führen, oft nur gering sind.
Grundsätzlich gilt: Rückstellungen für Verluste aus drohenden Geschäften bilden einen künftigen Aufwand ab. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten bilden einen Aufwand aus der Vergangenheit ab.
Bei der richtigen Einordnung und Bewertung kann auch das folgende Schema helfen:
Beispiel: Ein Unternehmen erbringt Ende des laufenden Jahres eine Bauleistung, für die ein Preis von 100.000 Euro vereinbart worden ist. Der Kunde hat bisher nur 90.000 Euro bezahlt; den Rest will er erst nach Beseitigung reklamierter Mängel begleichen. Das Unternehmen bestreitet die Baumängel, sodass der Ausgleich der Forderungen zum Bilanzstichtag ungewiss ist. In diesem Fall liegt ein Sachverhalt vor, der zu einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten führt, da der Geschäftsfall auf einem Aufwand in der Vergangenheit beruht. Damit besteht Passivierungspflicht sowohl in der Handels- als auch in der Steuerbilanz.
Höhe der Drohverlust-Rückstellungen
In welcher Höhe Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften gebildet werden können, ist abhängig vom konkreten Sachverhalt. Wichtigster Punkt sind die
voraussichtlich anfallenden künftigen Kosten, deren Höhe in der Regel geschätzt werden oder aus bestehenden Verträgen bzw. Dokumenten entnommen werden muss. Nach § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB sind Rückstellungen in Höhe des nach „vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrages“ anzusetzen.
Praxis-Tipp: Grundsätzlich sollte schriftlich dokumentiert werden, warum man welche Rückstellung in welcher Höhe gebildet hat und wie bzw. wo diese verbucht wurden, vor allem, wenn es um die richtige Abgrenzung zu ungewissen Verbindlichkeiten geht, da diese im Gegensatz zu Drohverlustrückstellungen auch zu einer Reduzierung der Steuerlast im laufenden Geschäftsjahr führen. Das kann zum einen eine wichtige Argumentationshilfe bei möglichen Betriebsprüfungen sein. Zum anderen lassen sich die Vorgänge auch nach einiger Zeit im Betrieb besser nachvollziehen, wenn es zu Fragen kommen sollte oder ein Mitarbeiter, der eine Rückstellung gemeldet hat, aus dem Unternehmen ausscheidet. Zudem gibt eine Dokumentation Hilfestellung, wenn künftig ähnliche Rückstellungen gebildet werden müssen.
Welche wichtigen Gesetze und Vorschriften gibt es?
Handelsrechtlich ist die Passivierung von Rückstellungen in
§ 249 Abs. 1 HGB (Handelsgesetzbuch) geregelt. Das Steuerrecht verweist in § 5 Abs. 1 EStG (Einkommensteuergesetz) grundsätzlich auf die handelsrechtlichen Normen. Die Bewertung erfolgt handelsrechtlich u.a. nach § 253 Abs. 1, Nr. 1 HGB, steuerrechtlich nach § 5 Abs. 1 Satz 1. Allgemeine Erläuterungen finden sich z.B. in den EStR (Einkommensteuer-Richtlinien), unter 5.7 Abs. 11. Das steuerliche Passivierungsverbot für Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften findet sich in
§ 5 Abs. 4a EStG.
Zum Thema Drohverlustrückstellungen gibt es zudem zahlreiche
Einzelverfügungen und -regelungen sowie Anweisungen seitens der Finanzverwaltung sowie eine Fülle von zum Teil höchstrichterlichen Urteilen (Bundesfinanzhof (BFH)). Nicht zuletzt sind zusätzlich ggf. Vorschriften des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) sowie der internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS) zu berücksichtigen. Es ist also erforderlich, laufend die Rechtsprechung zu verfolgen, um alle aktuellen Anforderungen erfüllen zu können.
Wie werden Drohverlustrückstellungen gebucht?
Die Bildung von Drohverlustrückstellungen erfolgt wie bei anderen Rückstellungen über das Aufwands- mit dem entsprechenden Rückstellungskonto. Bei der Bildung der Rückstellung wird mit Nettowerten bearbeitet, bei der Auflösung muss die Mehrwertsteuer berücksichtigt werden. Ausgangspunkt ist das vorherige Beispiel mit dem Materialkauf.
Buchung zum Jahresabschluss (HGB)
Die Buchungssätze zum 31 Dezember lauten:
1. Sonstige betriebliche Aufwendungen an Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften 10.000 Euro
2. Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften an Schlussbilanzkonto 10.000 Euro
3. Gewinn- und Verlustrechnung an Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften 10.000 Euro
Buchung im Folgejahr (HGB)
Die Eröffnungsbuchung zum 01 Januar des Folgejahres lautet:
1. Eröffnungsbilanzkonto an Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften 10.000 Euro
Bei Lieferung des Materials wird dieses mit 90.000 Euro erfasst und die Rückstellung muss erfolgswirksam aufgelöst werden. Die Buchungen hier lauten:
2. Wareneingang 90.000 Euro plus Vorsteuer 19.000 Euro plus Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften 10.000 Euro an Bank 119.000 Euro
Steuerliche Behandlung
Beim Jahresabschluss des laufenden Jahres wird der Vorgang nicht berücksichtigt, da steuerrechtlich keine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften gebildet werden darf.
Bei Lieferung des Materials wird der Materialwert mit 100.000 Euro erfasst. Danach ist der Wert mittels Abschreibungen um 10.000 Euro zu reduzieren, damit Steuer- und Handelsbilanz wieder übereinstimmen.
Die Buchungen hier lauten dann:
1. Wareneingang 100.000 Euro plus Vorsteuer 19.000 Euro an Bank 119.000 Euro
2. Abschreibungen auf sonstige Vermögensgegenstände des Umlaufvermögens 10.000 Euro an Wareneingang 10.000 Euro
letzte Änderung J.E.
am 11.07.2024
Autor(en):
Jörgen Erichsen
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Autor:in
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Herr Jörgen Erichsen
Jörgen Erichsen ist selbstständiger Unternehmensberater. Davor hat er in leitenden Funktionen in Konzernen gearbeitet, u.a. bei Johnson & Johnson und Deutscher Telekom. Er ist Autor von Fachbüchern und -artikeln rund um Rechnungswesen und Controlling. Außerdem ist er als Referent zu diesen Themen für verschiedene Träger tätig. Beim Bundesverband der Bilanzbuchhalter und Controller (BVBC) leitet Jörgen Erichsen den Arbeitskreis Controlling.
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