Niederstwertprinzip - Erläuterung und Beispiel

Jörgen Erichsen
Das Prinzip der Vorsicht ist ein zentraler handelsrechtlicher Bewertungsgrundsatz und Grundsatz ordnungsgemäßer Buchführung. Es dient vor allem der Kapitalerhaltung und damit auch dem Gläubigerschutz. Vorsichtige Bewertung bei Vermögensgegenständen bedeutet, den niedrigsten gegebenen Bewertungsansatz zu wählen, wenn mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Das Gegenstück zum Niederstwertprinzip des Anlagevermögens bei Verbindlichkeiten ist das Höchstwertprinzip.

Das Niederstwertprinzip wird vor allem bei der Folgebewertung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten angewendet. Vermögensgegenstände des Unternehmens werden demnach außerplanmäßig auf den Wert abgeschrieben, zu dem sie am Bilanzstichtag verkauft werden könnten. Zum Vermögen eines Unternehmens zählen Anlagevermögen (z.B. Gebäude, Maschinen, Fahrzeuge) und Umlaufvermögen (z.B. Forderungen, Vorräte).

Beim Niederstwertprinzip werden zwei grundlegende Fälle unterschieden
  1. Strenges Niederstwertprinzip: Dieses bezieht sich auf das Umlaufvermögen. Hier ist zwingend der niedrigste der drei möglichen Wertansätze (Anschaffungs-/Herstellungskosten, Marktpreis, Wert am Bilanzstichtag) einzusetzen (§ 253 Abs. 4 HGB).
  2. Gemildertes Niederstwertprinzip: Dieses bezieht sich auf das Anlagevermögen. Bei voraussichtlich dauernder Wertminderung besteht die Möglichkeit, außerplanmäßige Abschreibungen vorzunehmen, um Vermögenswerte mit dem niedrigeren Wert am Bilanzstichtag zu bemessen. Beim Anlagevermögen darf die niedrigere Bewertung nur genutzt werden, wenn die Wertminderung dauerhaft ist, etwa wenn eine Maschine einen Totalschaden erlitten hat. In der Praxis ist eine solche Einschätzung oft schwierig. Daher besteht also oft ein gewisser Ermessensspielraum bei der Bewertung. Lediglich bei Finanzanlagen dürfen niedrigere Werte angesetzt werden, wenn die Wertminderung voraussichtlich nur vorübergehend ist.

Was passiert, wenn der Wert des Vermögens wieder steigt?

Steigt der Wert von Vermögensgegenständen im Folgejahr wieder, etwa von Aktien oder Rohstoffen, muss eine außerplanmäßige Zuschreibung vorgenommen werden. Die betreffenden Bilanzpositionen werden also nach oben korrigiert (§253 Abs. 5 Satz 1 HGB).

Wichtig: Auch zum Zeitpunkt der Zuschreibung gilt weiter das Niederstwertprinzip. Die korrigierte Bilanzposition darf demnach nie höher sein als die ursprünglichen Anschaffungskosten. Auch dann nicht, wenn der aktuelle Marktpreis höher ist als die Anschaffungskosten.


Beispiel: Strenges Niederstwertprinzip

Ein Unternehmen hat Holz zum Preis von 5 Euro je Quadratmeter gekauft. Im Laufe des Jahres fällt der Wert je Quadratmeter auf 4 Euro. Das Holz muss zwingend mit dem niedrigeren Wert, hier 4 Euro bilanziert werden. Es gilt das strenge Niederstwertprinzip, auch wenn z.B. damit gerechnet werden kann, dass der Preis für das Holz auf 4,50 Euro steigen wird.

Im Folgejahr hat das Unternehmen noch Holz aus der gekauften Charge übrig. Der Preis ist inzwischen auf 5,50 Euro gestiegen. Damit ist der Marktwert des letzten Jahres (4 Euro) nicht mehr relevant und der Betrieb muss mit dem niedrigsten Wert arbeiten, im Beispiel sind das 5 Euro, weil das die ursprünglichen Anschaffungskosten sind. Buchhalterisch muss eine Zuschreibung bis zur Höhe der Anschaffungskosten vorgenommen werden. Hier also von 4 Euro auf 5 Euro je Quadratmeter.

Beispiel: gemildertes Niederstwertprinzip

Ein Unternehmen hat ein Gebäude für 1 Mio. Euro gekauft. Im laufenden Jahr wird das Gebäude durch einen Sturm schwer beschädigt. Zwar kann es weiter genutzt werden, der Wert liegt nach einem Gutachten aber nur noch bei 0,5 Mio. Euro. Damit entsteht eine dauerhafte Wertminderung, die bei der Bewertung berücksichtigt werden muss.

Statt mit dem ursprünglichen Wert von 1 Mio. Euro darf das Gebäude nur noch mit 0,5 Mio. Euro in der Bilanz angesetzt werden. Kann der Schaden irgendwann behoben werden, steigt der Marktwert wieder und die Bilanz muss entsprechend nach oben korrigiert werden. In diesem Fall dürfen aber maximal 1 Mio. Euro angesetzt werden, auch wenn der neue Marktwert höher liegen sollte, etwa bei 1,1 Mio. Euro.

Niederstwertprinzip im Steuerrecht

Das Niederstwertprinzip ist im Steuerrecht in § 6 Abs. 1 EStG geregelt. Im Unterschied zur Handelsbilanz kann in der Steuerbilanz bei einer dauerhaften Wertminderung des Anlagevermögens wahlweise auch der Teilwert angesetzt werden, wenn dieser niedriger ist. Eine Wertminderung ist voraussichtlich dauernd, wenn der Teilwert in mindestens der Hälfte der Restnutzungsdauer unterhalb des Restbuchwerts liegt.

Beim Umlaufvermögen gilt, dass ein Teilwert angesetzt werden kann, wenn es zu einer voraussichtlich dauernden Wertminderung kommt. Die Wertminderung ist voraussichtlich dauernd, wenn sie bis zum Bilanzierungsstichtag besteht. Hier sind stets Einzelfallentscheidungen erforderlich.




letzte Änderung J.E. am 05.06.2023
Autor(en):  Jörgen Erichsen


Autor:in
Herr Jörgen Erichsen
Jörgen Erichsen ist selbstständiger Unternehmensberater. Davor hat er in leitenden Funktionen in Konzernen gearbeitet, u.a. bei Johnson & Johnson und Deutscher Telekom. Er ist Autor von Fachbüchern und -artikeln rund um Rechnungswesen und Controlling. Außerdem ist er als Referent zu diesen Themen für verschiedene Träger tätig. Beim Bundesverband der Bilanzbuchhalter und Controller (BVBC) leitet Jörgen Erichsen den Arbeitskreis Controlling.
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19.11.2017 17:02:07 - Armin

Hallo,
Bedauerlicherweise ist Ihr Absatz zum "gemilderten Niederstwertprinzip" nicht mehr Zeitgemäß, d.h. falsch. Seit Neuordnung des HGB 253 ist die Anwendung dieses (gemilderten Niederstwert)Prinzips für Güter des nicht
abnutzbaren Anlagevermögens aufgehoben. Stattdessen gilt: „Vermögensgegenstände sind höchstens mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten … anzusetzen.“
Mit freundlichen Grüßen, Armin
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